Bisher habe ich über das
Leben der nordamerikanischen Indianer vergangener Zeiten
geschrieben. Für viele von uns ist ja gerade die
Vorstellung vom "romantischen" Prärie- (Plains)indianer
so interessant. Das Abenteuerleben mit seinen
Büffeljagden, Kriegszügen, den romantischen Abenden am
Lagerfeuer mit Tanz und Gesang weckt in vielen von uns
Sehnsucht.
Was aber kam nach dem Büffelmord, der die
Lebensgrundlage vieler Indianer bedeutete? Was geschah
mit dem Indianer, nach dem man ihm sein Land, seine
Freiheit genommen hatte? Der Indianer, der die Erde als
seine Mutter betrachtete und niemals seine
"Mutter" verkaufen würde, musste mit ansehen,
wie die Weißen ihn mit gebrochenen Verträgen oder
durch Vertreibung, Mord u.a. sein Land wegnahmen. Ohne
Land, ohne Lebensgrundlage, wurde der größte Teil der
Überlebenden des Widerstandes (ca. 10% der ehemaligen
Bevölkerungszahl) in Reservationen umgesiedelt, in denen
heute noch fast zwei Drittel der Bevölkerung der
Ureinwohner leben.
Manche rassistischen Initiatoren dieser Politik hatten
sich geschworen, die Schaffung der Reservationen zur
Vollendung der Ausrottung der Indianer zu benutzen. Dazu
kam ihnen ja auch der seit 1831 festgeschriebene Zustand
zu Hilfe, wonach die Indianer der Union
"einheimische abhängige Völker im Zustande
der Unmündigkeit" waren. Zwar wurde diese
Situation durch ein Gesetz von 1924 aufgehoben und alle
in den Reservationen lebenden Indianer der USA wurden zu
Bürgern der US-Staaten erklärt, aber die materielle
und kulturelle Lage änderte sich dadurch auch nicht.
Die meisten Reservationen befanden und befinden sich
heute noch in Gebieten, die sich schlecht
landwirtschaftlich nutzen ließen, zumal die Indianer
auch keine Erfahrung in Viehwirtschaft hatten, um sich
die spärlich zugeteilten, mehr als abgemagerten Rinder
u.a. zur Beseitigung ihrer Hungersnot zu Nutze zu
machen.
Ohne die Möglichkeit auf die Jagd zu gehen, nur auf die
Rationen der Regierung angewiesen (wobei die
Nahrungszuteilungen oft gar nicht erst auf der
Reservation ankamen oder längst ungenießbar waren),
starben in den ersten Jahren der Reservationszeit viele
Indianer den Hungertod, Krankheiten |
breiteten sich aus, kurzum,
der Plan einiger Initiatoren ging fast auf. Doch selbst
das Gebiet der Reservationen wurde den Indianern
missgönnt. 1887 wurde das General Allgotment Act
(später Dawes Act genannt) - von Senator Dawes
ausgearbeitet - verabschiedet, welches im wesentlichen
die Aufteilung des Reservationslandes in jeweils 160
Aares (ca. 64 ha = 640 000m²) große Flächen an
Familienoberhäupter vorsah. Allerdings wurden diese
Parzellen erst nach 25 Jahren Eigentum der indianischen
Pächter. In dieser Zeit sah sich die US-Regierung als
Treuhänder dieses Landes.
Eine nette Geste?
Der Indianer, der den "Besitz" des Landes
nicht kannte und schon gar nicht den Privatbesitz,
verkaufte oftmals aus Unkenntnis und aus Notsituationen
heraus sein "zugeteiltes" Land an weiße
Farmer, Rancher oder Spekulanten. Die Folge dieses Dawes
Act-Gesetzes war, dass sich die vertraglich zugesicherte
Größe der Reservationen von 1887-1932 um weit mehr als
die Hälfte reduzierte.
Außerdem sollte auf diese Art natürlich auch der
Gemeinschaftssinn des Stammes gebrochen werden. Nun war
den Indianern buchstäblich nichts mehr geblieben. Sie
sollten ihre Wurzeln vergessen und zu Weißen werden
oder untergehen. Die Kinder wurden oftmals von ihren
Eltern fortgerissen und auf Schulen geschleppt, wo ihnen
bei Strafe verboten war, ihre eigene Sprache zu sprechen
und wo oft drastische Maßnahmen angewendet wurden, um
ihren Willen zu brechen und ihren Charakter zu
"formen". Zeremonielle Handlungen und Rituale
irgendeiner Art waren verboten.
Erst das Indian Reorganization Act von 1934 hob einige
Bestimmungen des Dawes Act wieder auf. Im Rahmen einer
New-Deal-Politik wurde den Indianern u.a. gestattet, ihr
gesplittetes Land wieder zusammenzulegen, durch die
Anerkennung der Stammesräte seitens der Regierung eine
gewisse Selbstverwaltung auszuüben und wurde das Verbot
religiöser Zeremonien wieder aufgehoben.
Doch wie sieht die Situation heute aus? |
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Bisher haben wir vom Indianer
in der Reservation gesprochen. Doch in den 50er und 60er
Jahren dieses Jahrhunderts war eine Abwanderung von
Indianern aus den Reservationen und ländlichen Gegenden
in die Großstädte zu beobachten. Sicher um der Armut
und Zukunftslosigkeit in den Reservationen zu entgehen,
aber auch auf Grund der von der US-Regierung
praktizierten Terminations- und Relocationspolitik.
Erstgenanntes beinhaltete die Aufkündigung der
Treuhandfunktion der US-Regierung und übertrug diese
an die Regierungen der einzelnen Staaten der USA. Damit
hatten die betroffenen Stämme keinerlei Anspruch mehr
auf staatliche Unterstützung, was oft zum Ruin
der jeweiligen Stämme führte. Deshalb waren
viele Indianer regelrecht gezwungen, sich in den
Großstädten nach Arbeit umzuschauen oder sich um
staatlich finanzierte Ausbildungsplätze zu bewerben.
Doch sobald sie in der Stadt lebten, hörten sie für
das BIA (Bureau of Indian Affairs) auf zu existieren und
verloren all ihre "Rechte", welche sie in der
Reservation noch hatten, wie Steuerfreiheit u.a. Deshalb
förderte die Relocationspolitik die Abwanderung. In der
Großstadt gehörten und gehören sie auch heute noch zu
den Benachteiligten, die sich in den Elendsviertel der
Städte wiederfinden. Dort haben sie es nicht nur mit
Armut, Arbeitslosigkeit, Rassismus und Alkoholismus zu
tun, vor denen sie aus den Reservationen geflüchtet
waren, sondern sie sind vor allem in sozialer und
kultureller Hinsicht stark isoliert. Dazu kommt, dass es
ihnen schwer fällt, sich aufgrund ihrer
unterschiedlichen Herkunft aus verschiedenen Stämmen,
zu organisieren. Doch gibt es jetzt in vielen Städten
die sogenannten Indian Center, deren Aufgabe es ist,
Möglichkeiten zur Kommunikation untereinander und zur
Beschäftigung mit traditionellen Kulturen zu schaffen.
Viele der Stadtindianer pendeln heute zwischen den
Reservationen und den modernen Städten der Weißen hin
und her. Die Situation in den Reservationen ist aber
auch nicht viel anders. Die etwa 300 Reservationen der
USA, die dem BIA (Bureau of Indian Affairs) unterstehen,
sind immer noch ein trauriger Beweis für die
indianerfeindliche Politik. Trotz vieler Beteuerungen
seitens der Regierung, die Lage der Indianer zu
verbessern, hat sich für die meisten Indianer in den
Reservationen nichts geändert. In vielen Reservationen
herrscht die höchste Arbeitslosigkeit des Landes, die
Anzahl der Beschäftigungslosen ist mancherorts |
fast dreimal so hoch als
sonst, in einigen Reservationen liegt sie bei 80% der
Reservationsangehörigen.
Das Einkommen derer, die Arbeit haben liegt noch unter
dem der Minderheiten, noch unter dem der ärmsten
Schichten der restlichen Bevölkerung, zum Teil 20%
unter dem Existenzminimum. Die Armut ist dementsprechend
hoch. Weiterhin ist das Leben in den Reservationen auch
heute noch geprägt von hoher Kindersterblichkeit,
Analphabetentum (manche Schulen liegen so weit entfernt,
dass sie zu Fuß unmöglich zu erreichen sind und
Schulbusse gibt es nicht immer), Rechtlosigkeit und
Alkoholismus, der eine der schlimmsten Geisel für die
von Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit durchdrungenen
Indianer ist. Natürlich versuchen die Indianer immer
wieder mit öffentlichen Aktionen (die Besetzung von
Alcatraz 1971; die Besetzung von Wounded Knee 1973; die
Protestaktion von Vertretern der Oglala-Siox von Pine
Ridge, eine der ärmsten Reservationen der USA, vor dem
US-Innenministerium in Washington; Demonstrationen u.a.)
oder mit den Mitteln der Justiz auf ihre prekäre Lage
aufmerksam zu machen und ihre Rechte und Souveränität
einzufordern (Per Gerichtsentscheid fordern die Sioux
die Black Hills als ihr rechtmäßiges Eigentum zurück.
Das Oberste Bundesgericht der USA weist diese Klage im
Jahre 1982 ab.). Zu dem Thema "Widerstand heute
" möchte ich jedoch später mehr berichten, auch
über den oft weiter praktizierten Völkermord (z.B. die
Sterilisation indianischer Frauen ohne das sie darüber
Bescheid wissen oder sogar gegen ihren Willen zur
"Geburtenkontrolle", die Entfremdung
indianischer Kinder von ihren Wurzeln, inklusive
Sprachverbot der eigenen Muttersprache und Aufdrängung
der christlichen Religion).
Umgeben von geschürtem Rassenhass, größtenteils immer
noch ohne eigenes Land, mit einer Selbstverwaltung, die
oft nur auf dem Papier existiert und abhängig von
der Willkür der Bundesstaat-Regierungen, hat sich die
Situation der Indianer auch heute nicht spürbar
verändert. Abbau der sozialen Leistungen,
Kompetenzüberschneidungen von Stammes-, Dorf-, Stadt-,-
oder Landverwaltungen, weiterer Landraub, Missachtung
der Souveränität der Indianer, Gesetzesbrüche seitens
der Regierungen; all das kennzeichnet die Situation der
"staatlich anerkannten" Indianer der
Reservationen. |
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Dazu kommt, dass einige
Gruppen der Ureinwohner Nordamerikas, welche nicht in
Reservationen, aber größtenteils auf dem Land leben,
von den jeweiligen Bundesstaat-Regierungen als auch von
der US-Regierung nicht anerkannt werden. Das trifft vor
allem für die auf dem ehemaligen
"Indianerterritorium" (Vorläufer der
Reservationen, in das zwanzig Indianervölker mit Gewalt
umgesiedelt wurden) lebenden Indianerstämme wie
Cherokee, Creek u.a. zu.
Heute leben dort ca. 20 000 Indianer, die zwar oft noch
ihre eigene Sprache sprechen, aber in großer Armut
leben. Schuld an diesen Zuständen sind in erster Linie
bundesstaatliche Organe. Allerdings versucht man dort in
einigen Gebieten dies zu ändern mittels
Arbeitsplatzbeschaffungs- und Umsiedlungsmaßnahmen und
mit bestimmten Einschränkungen die Anerkennung als
politische Einheiten.
Demgegenüber gibt es natürlich auch Indianer, die sich
in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht selbständig
machen konnten nach dem Prinzip "hilf dir
selbst". Dies gelang entweder auf Grund besonderer
Talente wie z.B. bei den Mohawk, die als Spezialisten
für den Hochkonstruktionsbau gelten und USA-weit
eingesetzt werden oder weil sie, wie einige Stämme des
mittleren Westens das Glück hatten, von Pachtgeldern
für reiche Fundorte von Erdöl, Uran u.a. auf ihrem
Stammesgebiet verschiedene Industriebetriebe gründeten,
in denen vor allem Angehörige aus den eigenen Stämmen
arbeiten. Allen Verleumdungen zum Trotz (sie sind faul,
unzuverlässig, dumm) haben die nordamerikanischen
Indianer eine außerordentliche Begabung für viele
Industriezweige, siehe einige Gruppen der Apachen, die
sich als kluge Fleisch- und Milchproduzenten betätigen.
Besonders bewährt haben sie sich in der
metallverarbeitenden Industrie.
Die Situation der Indianer Kanadas ist ähnlich die der
Indianer der USA. Viele Indianer der beiden Staaten
haben ja die gleiche Vergangenheit, dieselben Wurzeln,
dieselbe Sprache, aber die Grenze zwischen beiden
Staaten unterstellte sie verschiedenen Regierungen. Auf
dem Gebiet Kanadas leben heute Angehörige von 10
Sprachfamilien, die meisten davon Athapasken und
Algonkin. Ingesamt machen die Indianer Kanadas ca. 1,7%
der Gesamtbevölkerung aus. Ihr Schicksal nach dem
großen Widerstandskampf, bei dem in Kanada die Indianer
nicht ganz so starken Dezimierungen durch die Weißen
ausgesetzt waren wie in den USA, endete meistens auch in
Reservationen, die der gesetzlichen Oberhoheit der
Regierung unterstellt waren (1867). Im Indian Act (1876)
wurden diese Beziehungen zwischen Regierung und
Indianern in Form gebracht. |
Seit 1961 ist sind die
Ureinwohner Nordamerikas in Kanada rechtlich mit den
anderen Kanadiern gleichgestellt. Seit Mitte der 80er
Jahre gibt es Bemühungen, die Lage der Indianer, vor
allem in den Reservationen zu verbessern. Aber auch dort
gibt es heute noch eine hohe Arbeitslosigkeit, lebt der
überwiegende Teil unterhalb der offiziellen
Armutsgrenze, liegt die Lebenserwartung 20 Jahre unter
dem Landesdurchschnitt. Auch hier ist Alkoholismus stark
verbreitet.
Heute sind Indianer in Amerika und auch überall in der
Welt in "Mode" gekommen, gelten sie als
"Exoten" im eigenen Land. Es ist
"schick", etwas Indianerblut ins einen Adern
zu haben. Das liegt zum Teil an dem öffentlichen
Interesse der Weltbevölkerung an den Indianern, aus
unterschiedlichen Gründen und zum Teil an dem
wachsenden Selbstbewusstsein der Indianer, das Ausdruck
findet in ihrer Kunst, in Filmen und Liedern und
natürlich auch in einer wachsenden Widerstandsbewegung
für die Einhaltung ihrer Rechte und Souveränität.
Diese Beliebtheit und die Notsituation der Indianer
nutzen einige Weiße aus, um den Indianer zu
vermarkten. So trifft man heute überall halbserienweise
hergestellte handwerkliche Erzeugnisse, die mit der
wahren indianischen Kunst nichts zu tun haben und oft
gar nicht im eigenen Land hergestellt werden. So wird
z.B. "echt indianischer" Schmuck in Taiwan
oder Hongkong hergestellt. Das bedeutet natürlich für
die Silberschmuckhersteller der Navajos, Zuni und Hopis
z.B., beträchtliche Einbußen, obwohl sie wahre Meister
ihres Fachs sind. Ein weiterer Ausdruck des Interesses
an Indianern ist die oft demütigende, widerwärtige
Verwandlung einiger weniger Indianer in Attraktionen der
Touristenindustrie. Diese Indianer, die oft den von
Hollywood verfälschten Stereotyp des Plainsindianers
darstellen, führen nach den Anweisungen des
Veranstalters "Kriegstänze" vor, lassen sich
gemeinsam fotografieren und zeigen ein Bild des
Indianers, das der Tourist erwartet. So degradiert man
den Indianer nun auch noch zum Schausteller. Allerdings
bietet der Umsatz an indianischen Gegenständen,
Kleidern und Schmuck vielen Indianern einen echten
Zuverdienst, wenn nicht alleiniges Einkommen, indem sie
für Interessenten auf der ganzen Welt nähen, sticken,
sogar quillen und diese Sachen dann verkaufen.
Dies soll es erst einmal zur Situation der Indianer
heute gewesen sein, wobei ich bemerken möchte, dass in
absehbarer Zeit weitere Artikel zu diesem Thema
erscheinen, die sich vor allem mit speziellen Beispielen
der Ungerechtigkeit, Kriminalität den Indianern
gegenüber, Landraub, Rassismus u.a. beschäftigen. |
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Das Land
verkaufen? Warum nicht auch die Luft und das Meer? Hat
nicht der Große Geist all das zum Wohl seiner Kinder
geschaffen?
Tecumseh
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Friede
ist nicht nur das Gegenteil von Krieg, nicht nur der
Zeitraum zwischen zwei Kriegen - Friede ist mehr. Friede
ist das Gesetz menschlichen Lebens. Friede ist dann, wenn
wir recht handeln und wenn zwischen jedem einzelnen
Menschen und jedem Volk Gerechtigkeit herrscht.
Spruch der Mohawk
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Wir verlangen
von den Vereinigten Staaten weder karitative Maßnahmen
noch pateranalistische Fürsorge. Wir verlangen nicht
einmal guten Willen. Wir verlangen nur, dass der
Charakter unseres Problems anerkannt wird und das diese
Erkenntnis den Ausgangspunkt jeder proindianischen
Politik, jeder Aktion bildet... Unsere Welt ist
verschwunden. Nur die letzten Bruchstücke unseres
Landes sind uns noch geblieben. Aber es ist unsere
Absicht, auch diese Bruchstücke mit der gleichen Sorge
und Achtung zu bewahren und zu entwickeln, wie das jede
andere kleine Volk, jede ethnische Gruppe tut, die sich
ihre Identität, ihre nationale Existenz bewahren will.
Schlussdeklaration der Indianer auf der
allindianischen Konferenz von Chicago 1961
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