Natürlich gab es auch
bei den Indianern Zwillings- oder gar Drillingsgeburten (aber
relativ selten) und die Einstellungen darüber waren
verschieden. Bei einigen Stämmen wurden die Mütter solcher
Mehrlingsgeburten geschätzt (z.B. Chippewa), bei anderen
weniger (z.B. Arapaho) und zuweilen kam es vor, dass ein
Zwilling ausgesetzt wurde. Die Streitfrage, ob Junge oder
Mädchen, spielte nicht diese Rolle, die man gern einer
männerorientierten Jäger- und Kriegergesellschaft
nachredete, auch wenn bei bestimmten Stämmen (da, wo die
Gefahr, dass Männer früh starben durch Kämpfe u.a.,
größer war und deshalb oft ein "Frauenüberschuss"
herrschte) ein Sohn höher geschätzt wurde. Deshalb liebten
die Eltern Mädchen aber nicht weniger. Die sozialen Bindungen
sind für die geistige Entwicklung eines Kindes von Anfang an
entscheidend. Natürlich auch bei den Indianern. Die
verwandtschaftlichen Beziehungen bei ihnen unterschieden sich
stark von den unsrigen und waren, obwohl nicht überall
gleich, von genau bestimmten Sittenkodices diktiert. Bei
vielen Stämmen bestand eine sehr enge Beziehung zwischen
Geschwistern, so dass der Begriff Mutter bzw. Vater oft auch
die Schwestern der Mutter bzw. die Brüder des Vaters mit
einschloss, und deren und die eigenen Kinder als Geschwister
galten. Ebenso bezeichnete der Begriff Onkel und Tanten die
Mutterbrüder, Vaterschwestern, Schwager und Schwägerinnen
und darüberhinaus oft auch sämtliche |
Vettern und Basen der
Kinder. Bei den Comanchen z.B. nannte das Mädchen ihre
leibliche Tante "Mutter" und diese Mutter - Tochter
- Beziehung war weniger förmlich als die zwischen leiblicher
Mutter und Tochter. Hopi - Kinder benutzten das gleiche Wort
für Mutter und Tante. Die Tanten und Onkel kümmerten sich
ebenso um ihre Neffen und Nichten wie um ihre eigenen Kinder.
Zwischen indianischen Eltern und ihren Kindern bestand eine
sehr enge Bindung, aber bei vielen nicht ohne eine gewisse
Distanz bzw. Zurückhaltung, genauso wie zwischen Bruder und
Schwester bei manchen Stämmen eine gewisse Scheu an den Tag
gelegt wurde. Dagegen war das Verhältnis zwischen Großeltern
und Enkeln ohne diese Zurückhaltung herzlich, offen und auch
humorvoll. Die Großeltern trugen wesentlich zur Erziehung
bei, da sie doch meist verfügbar waren und gerade Müttern
von Kleinkindern die Sorge um diese abnahmen, damit sie sich
um vielen anderen Aufgaben kümmern konnten. Großvater und
-mutter waren auch meist diejenigen, die Belehrungen,
Ratschläge erteilten, Wertvorstellungen vermittelten, oft in
Form von Erzählungen und Geschichten vergangener Zeiten. Sie
unterwiesen die Enkel in Handfertigkeiten, kurzum, sie
"schulten" sie in vielen Dingen, die die Enkel in
ihrem späteren Leben benötigten. Dies alles geschah mit viel
Geduld und Nachsicht, ohne Schimpfen, nur mit sanften
Ermahnungen. Die Großmutter sorgte oft auch für die
sexuelle |
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Aufklärung ihrer
Enkelin und beschrieb ihr die Aufgaben der Frau in der Ehe.
Soviel in Kürze zu den sozialen Bindungen. Auch indianische
Kinder durchlebten dieselben Stationen in ihrem ersten
Lebensabschnitt wie alle anderen Kinder der Erde auch. Der
erste Zahn, das erste Wort, der erste Schritt. Bis zum
dritten, vierten Lebensjahr wurden viele Indianerkinder aus
oben genannten Gründen gestillt.
Die Namensgebung eines Kindes nahm man sehr ernst, spielt doch
der Name in der Vorstellungswelt der Indianer eine wichtige
Rolle. Meist gab es ein Fest zur ersten Namensgebung (wobei
sich die Riten dabei sehr unterschieden), denn Indianer
erhielten in ihrem Leben oft mehrere Namen. Der Name war
deshalb wichtig, da er Ausdruck einer geistigen Kraft war, die
über die normale Erziehung hinaus auch mit für Ruhm,
Tüchtigkeit, Mut, Sittsamkeit u.a. verantwortlich gemacht
wurde. Bis zu einem gewissen Grade bedeutete er die
Übertragung von Lebenskraft. Namen verpflichteten aber auch,
vor allem die von berühmten Vorfahren, und konnten so
erzieherisch wirksam sein.
Indianische Kinder wurden sehr früh schon diszipliniert,
beginnend mit dem Unterdrücken des Schreiens. Bei einigen
Stämmen hielt man Babys den Mund zu, wenn sie schrieen,
größere Kinder erschreckte man mit einer Art Buhmann so
sehr, dass sie schwiegen. Das klingt zwar hart, war aber unter
dem Aspekt, dass ein schreiendes Kind den Feind auf die Gruppe
oder das Lager aufmerksam machen |
konnte,
überlebenswichtig. Von Fürchtemachern bei unartigen Kindern
wird überall berichtet, auch bei den Indianern. Die mit am
verbreitetste Schreckensgestalt in Nordamerika war die Eule.
Die Angst vor dem Eulenschrei hing wohl auch damit zusammen,
dass feindliche Späher diesen Ruf beim Kundschaften
nachahmten, und die ihm oft folgenden Überfälle blieben den
Kleinen negativ im Gedächtnis haften. Manchmal verkleideten
sich ältere Leute und erschreckten ungehorsame Kinder.
Wenn auch das Prinzip der Drohungen und Einschüchterungen bei
fast allen Stämmen praktiziert wurde, körperlich bestrafte
man wenig, manche Stämme lehnten es sogar rigoros ab, da es
dem Geist (Spirit) des Kindes schade. Kinder unter fünf
Jahren schlug man eigentlich nie. Allerdings gehen hier die
Erziehungsmethoden auch auseinander. Während die Völker der
Plains, Prärien und viele Gruppen des Nordens und Nordostens
für ihre Nachsicht und Geduld bekannt waren und die anderen
Kulturzonen gegen diese Art der Züchtigung ebenfalls eine
mehr oder weniger ausgeprägte Abneigung hegten, so scheuten
sich z.B. die Schoschonen, Kutenai u.a. Indianer des Großen
Beckens und Plateaus nicht, bei wiederholten Vergehen ihre
Kinder körperlich zu züchtigen. Außer in diesen zwei
Gebieten waren Prügel also selten das bevorzugte Mittel,
meistens gebrauchte man eher Ermahnungen, Demütigungen und
Drohungen, da diese in einer Gemeinschaft, die auf Ansehen und
ideelle Werte achtete, sehr wirkten. |
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Hatte man etwas falsch
gemacht, folgten sofort Rückwirkungen, man wurde ganz
nüchtern auf die sozialen Folgen eines ethischen Fehltrittes
aufmerksam gemacht, etwa dergestalt: bist du faul, wist du
keinen Mann bekommen oder wenn du tapfer bist, bekommst du
eine gute Frau. Im Rahmen der Disziplinierung für ein hartes
Leben in einer rauhen Umgebung war Abhärtung natürlich
wichtig, die aber nichts mit den Körperstrafen zu tun hat. In
einer Gesellschaft, in der Schmerzunempfindlichkeit und
Furchtlosigkeit zur Tugend erklärt wurde, kann man Furcht und
Schmerz nicht als Druckmittel und Ausgleich des Verhaltens
einsetzen. Deshalb gab es kaum Prügel, aber dafür um so mehr
Abhärtung.
Wie bei allen Naturvölkern kam auch bei den Indianern dem
Spiel eine wichtige Rolle zu. Gespielt wurde in jedem Alter,
auch im Erwachsenenalter. Zum ersten Spielzeug gehörten
Gegenstände, die über die Wiege oder Kindertrage (Craddle)
gehängt wurden, wobei manche religiöse Bedeutung hatten,
während andere wie z.B. Rasseln, kleine Vogelkopfskelette
u.a. nur der Ablenkung und Unterhaltung des Kindes dienten. Ab
dem dritten oder vierten Lebensjahr unterschied sich dann das
Spielzeug der Jungen und Mädchen. Jungs erhielten meist
kleine Bogen und Pfeile, die Mädchen Puppen aus Gras oder
Fell und kleine Abbildungen von Gegenständen des Haushalts
wie Tipis u.ä. Hier begann eigentlich schon das
"Training" auf ihre jeweilige künftige Rolle. |
Manche Spiele wurden
nur von Mädchen gespielt, manche nur von Jungen, manche
zusammen. Die Trennung nach Geschlechtern variierte allerdings
von Stamm zu Stamm. Bei einigen geschah sie bereits im Alter
von vier, fünf Jahren, bei anderen durften die Kinder bis zum
Alter von elf Jahren und sogar bis zur Pubertät miteinander
spielen. Gemeinsame Spiele, die der körperlichen
Ertüchtigung dienten, oder Geschicklichkeitsspiele waren sehr
beliebt. Es gab Ball-, Wurf-, Murmel- und Versteckspiele aller
Art. Auch gerodelt wurde sehr gern, da wo es möglich war.
Später übten sich vor allem die Jungen in Reiterspielen,
Wettrennen, Bogenschießen, im Anschleichen und Stehlen
(wohlgemerkt nicht um sich zu bereichern, es war eine Art mehr
oder weniger erlaubter Diebstahlsversuche, um sich für
Überfalle auf feindliche Lager vorzubereiten) und im Jagen.
Obwohl dies alles der Vorbereitung auf ihre Geschlechterrolle
diente und nötig war, ging bis zu einem bestimmten Alter der
Spielcharakter nicht verloren.
Besonders beliebt war bei allen Kindern das Baden, wobei auch
hier viele Wettkämpfe ausgetragen wurden. Überhaupt legte
man den Kindern von Stämmen, die am Wasser lebten, nahe,
täglich zu baden und sich auch vor kalten Wassertemperaturen
nicht zu fürchten. Mädchen wurden bei allen Völkern durch
Spielen auf ihre Frauen- und Mutterrolle vorbereitet, deshalb
Puppen und Miniaturnachbildungen von Haushaltsgeräten. |
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Trotzdem hatten die
Mädchen oft nicht so viel Zeit zum Spielen wie die Jungen, da
sie vielfach auf die kleineren Geschwister aufpassen mussten
und frühzeitig ihrer Mutter oder den anderen weiblichen
Verwandten bei der Erledigung der häuslichen Arbeit zur Hand
gingen und dabei alle Dinge zur Verrichtung derer lernten.
Dazu gehörte die Fellbearbeitung, das Gerben, das Kochen, das
Nähen, das Verzieren mit Perl - oder Stachelschweinborsten -
Stickereien (Quillwork), das Pflanzen und/oder Ernten, das
Sammeln von Beeren und Wurzeln und vieles mehr. Parallel dazu
vollzog sich die moralische Unterweisung und die damit
verbundene Geschlechtserziehung, die ja -wie schon erwähnt-
meist durch die Großmutter oder einer älteren weiblichen
Verwandten erfolgte. In einigen Stämmen trennte man die
älteren Mädchen von ihren männlichen Verwandten, was
natürlich nicht immer möglich war. Auch erwartete man von
heranwachsenden Mädchen, dass sie in Gegenwart der
Altersgefährten des anderen Geschlechts eine gewisse Scheu
und Zurückhaltung an den Tag legten, die bei einigen Völkern
soweit ging, dass die Schwester schamhaft die Augen vor ihrem
Bruder senkte. Keuschheit vor der Ehe war bei den meisten
Stämmem eine hoch geschätzte Tugend, die streng überwacht
wurde, obwohl einige vorehelichen Geschlechtsverkehr
tolerierten, wie die Comanchen. Hatte ein Mädchen schon einen
Mann vor der Ehe gehabt, ohne dass es jemand wußte, könnte
ihr "gehörnter" Ehemann sie wieder
zurückschicken, was für die Familie des Mädchens große
Schande bedeutete. |
Aus alldem ist
festzustellen, dass es auch für die Mädchen ein Idealbild
gab. War für die Jungen das Ziel, ein tapferer Krieger und
erfolgreicher Jäger, so strebten die Mädchen das Bild der
schönen, fleißigen, handwerklich geschickten, vor der Ehe
keuchen und während der Ehe treuen Frau an.
Die indianische Erziehung bestand also zu einem sehr
wesentlichen Teil in der moralischen Erziehung beider
Geschlechter in Hinsicht auf ihre jeweilige Rolle in der
Gemeinschaft. Dies geschah immer im Sinne der herrschenden
Gruppenmoral und ihrer sozialen und ethischen Normen.
Erzieherische Mittel dabei waren zusammenfassend: die
Ermahnungen und Ratschläge, die Disziplinierung, die
Abhärtung, die Lehren durch Märchen und Mythen und vor allem
auch die Anstachelung des Ehrgeizes und des Stolzes, sich
positiv im Stammesleben hervorzutun. Respekt vor dem Alter
spielte dabei eine wichtige Rolle, denn die eigenen älteren
Verwandten und besonders die alten Leute, die sich die
Hochachtung der gesamten Gemeinschaft durch ihren rühmlichen
Lebenswandel verdient hatten, waren oft die Träger der
Lehren, waren oft die Erzähler der Sagen und Märchen und das
erstrebenswerte Ziel jedes Heranwachsenden, da die
öffentliche Meinung im Hinblick auf die sittliche Erziehung
für ihn immer mehr an Bedeutung zunahm. Abschließend lässt
sich sagen, dass die körperliche, geistige und moralische
Erziehung indianischer Kinder im Einklang mit ihrer Lebensart,
mit der Natur stattfand, geprägt von religiösen
Vorstellungen und bestimmt durch die Art ihres Zusammenlebens. |
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